Das Gute im Schlechten
Dieser Blogbeitrag ist schon lange in meinem Kopf und gleichzeitig habe ich sehr lange abgewogen, ob ich genau diesen Artikel schreiben soll. Und dies hat selbstverständlich einen wichtigen Grund.
Heute schreibe ich über die „Vorteile“ von negativen Erfahrungen, doch die sind natürlich für Menschen, die gerade noch sehr im Thema drinnen sind, verstrickt sind, häufig sind sie noch voller Dunkelheit und Schmerz, Scham und Schuld, die Menschen- können dies und wollen es vielleicht auch – zu diesem Zeitpunkt nicht sehen.
Doch genau deshalb habe ich mich dafür entschieden. Und selbstverständlich für alle, die schon ein wenig weiter im Prozess sind. : ))
Viele Menschen haben schlechte Erfahrungen gemacht, häufig in der Kindheit, in der Jugend, aber auch im Erwachsenenalter. Es hinterlässt immer Spuren, bei dem Einen mehr, bei dem Anderen weniger. Doch das hat nicht nur mit der Resilienz zu tun, sondern eben auch, von der Dauer der Gewalttaten oder ob es eine einmalige Tat war, wichtig ist ebenfalls die körperliche, geistige und seelische Verfassung, in diesem Moment bzw. für den Zeitraum. Welche Menschen dem „Opfer“ zur Seite standen und stehen, ist ein bedeutender Faktor.
Stellen wir uns vor, ein Kind geht gerne zur Schule, die Atmosphäre ist hell, freundlich und zugewandt. Nun – nach den Ferien, kommt ein neuer Lehrer, dieser hat irgendein Problem, genau mit diesem Kind, bei mir heißt er Jonas. Jonas wird zunächst frei und freundlich, wie immer, in die Schule gehen. Bis er realisiert, dass er immer wieder bloß gestellt wird, ermahnt wird, beschämt wird oder sogar körperliche oder seelische Gewalt erlebt. Zum Beispiel isoliert zu werden, stehen zu müssen, nicht auf die Toilette zu dürfen oder Ähnliches.
Mit der Zeit, wird Jonas Gang schwerer, er wird ruhiger und trauriger, er wird nicht mehr so fröhlich zur Schule gehen und bei langen Zeiten, die schwer sind, wird sein Selbstbewusstsein leiden. Möglicherweise wird er die Schule meiden, schnell eine Ausbildung machen, schwänzen, in die Krankheit flüchten oder andere Vermeidungsstrategien entwickeln. Alles keine erfreulichen Zustände.
Doch was kann er darüber hinaus lernen? Bei sich zu bleiben, Zu lernen, dass der Lehrer, ein Problem hat und ER nicht das Problem ist, er kann lernen, schwere Zeiten durchzuhalten, sich Hilfe zu holen, sich in anderen Bereichen. zum Beispiel – Fußball, Musik, Freunde .–> also Hobbys, sein Selbstbewusstseins zu stärken und seine Stellung in der Gruppen / den Gruppen- wieder zu stabilisieren. Er verändert seinen Fokus.
Er wird insgesamt reifer werden, ein Stück weit- erwachsener. Jonas wird erkennen, dass nicht alle Menschen gut sind. Möglicherweise wird er dafür ein sehr gutes Radar entwickeln und sich so vor solchen Menschen schützen können.
Er wird stärker werden, da er es irgendwie durch die Zeit schafft und immer wieder in den Unterricht geht, trotz Angst und Scham, er wird Fähigkeiten und Strategien – bewusst und unbewusst- entwickeln, auf die er sein Leben lang zugreifen kann und in Krisenzeiten auch wird.
Jetzt ein anderes Beispiel, ein Kind hat als es klein war, Gewalt erlebt, körperlich, seelisch und geistig, auch vielfältigen sexuellen Missbrauch. Das Mädchen, ich nenne sie Susi, wird (wahrscheinlich) sehr lange brauchen, um die Folgen der Erfahrungen zu verarbeiten.
Möglicherweise vertraut sie niemanden mehr, findet schwer Freunde, lebt eher zurückgezogen, zweifelt an sich selbst und an der Welt, fühlt sich zu Tieren hingezogen, ist gerne alleine und trotzdem einsam. Doch wahrscheinlich ist sie noch einsamer unter den falschen Menschen.
Vielleicht hat sie wenig Selbstbewusstsein, oft einen Zeithorizont, so fällt es ihr schwerer zielstrebig ihre Karriere zu verfolgen. Möglicherweise ist ihr das gar nicht so wichtig, sie möchte in Frieden leben, wahrscheinlich hat sie ein sehr aktives Helfer- und Retter- Syndrom, eine starkes Perfektionisten- Programm, sowie einen inneren Antreiben, der sie unruhig werden lässt, sobald es ruhig wird und keine Ablenkung mehr da ist. Einen Partner zu finden, von dem sie nicht unbewusst, anstelle ihres Vaters, endlich geliebt werden will, könnte schwierig werden. Auch die verletzten inneren Anteile werden sie immer wieder an den Rande ihrer Kräfte führen. Möglicherweise ist sie sehr dissoziiert, kann sich kaum fühlen und spüren, ist sehr verkopft, sie raucht vielleicht, trinkt viel Alkohol, isst übermäßig oder gar nicht, nimmt Drogen, Tabletten oder andere Substanzen, um den Schmerz nicht fühlen zu müssen. Sie kennt ihre Bedürfnisse nicht, dafür umso mehr, die Bedürfnisse der Anderen uns selbst, wenn sie ihre eigenen irgendwann wahrnimmt, kann sie diese nur schwer erfüllen, weil sie sich nicht wertvoll genug fühlt, ein schlechtes Gewissen hat oder zuerst alle Anderen dran sind.
Und jetzt? Wie soll das irgendwann wieder gut werden? Wie um alles in der Welt, können diese Erfahrungen, zu etwas Gutem werden?
Stellen wir uns mal vor, unsere Susi, die jetzt eine erwachsene Susanne ist, hat viel an sich, an ihren Themen und an den Beziehungen zu anderen Menschen gearbeitet. Möglicherweise hat sie verschiedenen Coachings besucht, Therapien und viel zum Thema Persönlichkeitsentwicklung gelernt und gelesen. Wahrscheinlich ist sie ein „Overthinker“, weil sie das als Kind „gerettet“ hat. Jetzt hilft es ihr die Welt und die Menschen zu verstehen.
Sie hat verstanden, dass ihre Eltern oder die anderen Täter, das Problem waren, welches diese, auf sie projiziert haben. Sie hat möglicherweise tatsächlich einen Mann geheiratet, der ihr nicht gutgetan hat und gleichzeitig, ihr ihre Themen wieder gespiegelt hat. Auch wenn diese Beziehung nicht gehalten hat, konnte sie sich weiterentwickeln, sie konnte Zusammenhänge erkennen und sich neu erfinden, stärker werden und lernen auf eigenen Füßen zu stehen. Gegebenenfalls hat sie selber Kinder, um die sie sich liebevoll kümmert, weil sie es auf jeden Fall anders und besser machen will.
Sie hat sich aus ihrem Misstrauen gelöst, ist empathisch, hört auf ihre innere Stimme, auf ihr Herz, ihre Intuition, ihren Instinkt.
Sie kann sich gut abgrenzen, sie kann andere Menschen – nicht nur sehen, sondern fühlen, sie wird einen 7. Sinn haben, falls es irgendwo gefährlich oder unangenehm wird. Andere Personen, auch, wenn sie freundlich tun, können sie nicht über ihre wahren Beweggründe und Gefühle, hinwegtäuschen. Sie wird ihren Zeithorizont überwinden, um für sich und ihre Familie ein wunderbares Leben zu entwerfen, voller Motivation und Energie, ihre Ziele verfolgen und ihr Leben aktiv gestalten.
Wahrscheinlich wird Susanne nicht in den Tag hineinleben, sondern das Leben in vollen Zügen genießen und leben, dazu können auch immer wiederkehrende Rückzüge zählen.
Dieses Abscannen, was sie als Kind, vor noch mehr Gewalt geschützt hat, ist nun in „normalere“ Bahnen gelenkt, die es ihr ermöglicht, ihre Umwelt auf eine ganz besondere Art und Weise wahrzunehmen.
Möglicherweise vertraut sie nicht auf schöne Worte, Versprechungen und Verniedlichungen, wie; „Das war doch nicht so schlimm.“ oder „Das bildest du dir ein.“, „Bei anderen ist es noch Schlimmer.“ oder „Du bist selber Schuld.“
Sie hat ein sehr gutes Gespür, für gute Menschen, reine Seelen und mitfühlende Herzen.
Sie wird für sich und ihre Familie ein wunderschönes Heim erschaffen, in dem es kuschelig und warm ist, ihre Kinder werden geborgen und liebevoll aufwachsen. Sie wird es lieben, tiefgründige Gespräche zu führen und Oberflächlichkeiten oder Unehrlichkeiten, Small Talk, versteckte Aggressionen oder Manipulationen sofort wahrnehmen.
Auch das Essen wird für sie gesund, einfach und lecker, sehr bewusst sein. Beziehungen werden ihr wichtig sein, sie wird Liebe und Energie gegen und investieren. Sie wird ihre Lieben behüten, beschützen und liebevoll begleiten.
Möglicherweise lernt sie, wenn sie viele Themen in sich, hinter sich lassen konnte, einen Mann kennen, der mit ihr gemeinsam wächst, die Sexualität zu einem wunderschönen Teil ihres gemeinsamen Lebens werden lässt und sie zuverlässig und voller Energie ihr Leben aktiv gestalten, voller Liebe, Verbundenheit, Humor, Achtung, Wertschätzung und gegenseitigem Respekt.
Menschen, mit diesen Erfahrungen haben eine Ahnung von der Endlichkeit des Seins, sie verfolgen ihre Ziele zielstrebig, freuen sich über die kleinen Dinge, sie regen sich nicht über Kleinigkeiten auf.
Sie haben oft wenige Freude, dafür Echte. Sie müssen nicht mehr jedem gefallen, sondern nur den Richtigen. Sie wollen die Welt entdecken, verbessern, sie haben Visionen und sie sind weiser und reifen, geerdeter und spiritueller.
Meine Quintessenz ist: Alles Negative im Leben und auch wenn es noch so schlimm war, kann mit Unterstützung, Mut, Vertrauen und viel persönlichem Einsatz – zu ganz wunderbaren Eigenschaften, Fähigkeiten und Kompetenzen umgewandelt werden.
Und das Schönste für mich ist, auch wenn die Täter mir oder dir wirklich schaden wollten, voller Hass und Neid, Gier und Gewalt, haben sie nur sich geschwächt und geschadet, doch im Endeffekt mich, dich, uns alle – gestärkt haben.